Samstag, 23. April 2016

Drei Lieblinge

Ich habe übrigens noch etwas gebastelt und rechts (unterhalb des Blog Archivs) eine Leseliste eingefügt; da könnt ihr jeweils meine zuletzt gelesenen Schätze sehen!


Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit
 "Jules und seine beiden Geschwister wachsen behütet auf, bis ihre Eltern bei einem Unfall ums Leben kommen. Als Erwachsene glauben sie, diesen Schicksalsschlag überwunden zu haben. Doch dann holt sie die Vergangenheit wieder ein." (Klappentext)

Viele Bücher kann man irgendwo einordnen; es ist eine Familien- oder eine Liebesgeschichte, eine über die vergangene Kindheit oder das Erwachsenwerden, eine zum Lachen oder eben eine, die zu Tränen rührt. Was Benedict Wells mit diesem Roman geschafft hat, ist: Er hat das alles - die ganz grossen Gefühle und Themen der Menschheit - in 368 Seiten gepackt und eine Geschichte erzählt, die noch lange nachhallen wird.
Mit einer unglaublich subtilen Sprache, erschafft Wells immer wieder Gänsehautmomente. Und meine Güte, wie oft mein Leuchtstift bei diesem Buch zum Einsatz kam; da gibt es seitenweise mehr markierte Passagen als solche, die es nicht sind (und selbst diese wären teilweise noch nennens- und merkenswert).
Eine Liebesgeschichte - zwischen Jules und Alva - so voller Gefühl und Sehnsucht, dass man nicht anders kann als mit ihnen zusammen zu hoffen; und es einem als Leser dann am Schluss fast das Herz zerreist, weil's so schrecklich schön und grausam traurig ist.
Alva ist wohl eine der tollsten Roman"heldinnen", die mir bisher unter die Augen gekommen ist... Am liebsten würde man sich im Schneidersitz zu ihr auf die Kommode, auf den Tisch, auf die Küchenablage setzen und mit ihr schweigen, mit ihr in Büchern lesen oder über ebendiese sprechen; die Welt aus ihren Augen sehen und verstehen. Eine wirklich faszinierende Figur, die Benedict Wells da geschaffen hat.
Wenige Bücher haben es bisher geschafft, mich zu Tränen zu rühren, aber seien wir ehrlich: Fast niemand weint bei diesem Buch nicht ! Und bei so einem tollen Roman, einer Geschichte, die mich irgendwo ganz tief berührt hat - da gebe ich das auch gerne zu.

Einige meiner liebsten Zitate:

Alva nickte und sah mir lange in die Augen, ungewöhnlich lange, und ich werde nie vergessen, wie wir dabei einen Blick in die innere Welt des anderen werfen konnten. Für einen kurzen Moment sah ich den Schmerz, der sich hinter ihren Worten und Gesten verbarg, und sie erahnte im Gegenzug, was ich tief in mir bewahrte. Doch wir gingen nicht weiter. Wir blieben jeweils an der Schwelle des anderen stehen und stellten einander keine Fragen. (S.59)

Nie den Mut gehabt, sie zu gewinnen, immer nur die Angst, sie zu verlieren. (S.121)

Sie hielt ihr Buch mit beiden Händen umklammert, offenbar starb gerade eine geliebte Figur zwischen ihren Fingern. Und erst da hatte ich bemerkt, dass sie weinte. Ich hatte sie nicht stören wollen und konnte doch nichts daran ändern, dass ich diesen intimen Moment mit ihr teilte. Ich hatte auf ihr gerötetes Gesicht geblickt, und mir war bewusst geworden, wie sehr Alva Literatur liebte, so viel mehr als alle anderen Menschen, die ich kannte. Und die Tatsache, dass sie neben mir sass und von einer Geschichte so berührt worden war, berührte auch mich. (S.157)

Ich: "Dieses ständige Alleinsein bringt mich um."
Alva: "Ja, aber das Gegengift zu Einsamkeit ist nicht das wahllose Zusammensein mit irgendwelchen Leuten. Das Gegengift zu Einsamkeit ist Geborgenheit." (S.171)

Ich mein, wenn man sein ganzes Leben in die falsche Richtung läuft, kann's dann trotzdem das Richtige sein? (S.190)

Es gab Dinge, die ich nicht sagen, sondern nur schreiben konnte. Denn wenn ich redete, dann dachte ich, und wenn ich schrieb, dann fühlte ich. (S.233)

Romanow hatte mal gesagt, er habe das Leben nie dramatisiert, nie etwas hinzugefügt. Er habe nur nie weggesehen. (S.253)

Ich weiss, dass es falsch ist, sich so in sich selbst zurückzuziehen. Ich möchte dort sein, wo du auch bist, und das ist die Wirklichkeit. (S.310)


Peter Stamm: Weit über das Land
"Ein Mann steht auf und geht. Einen Augenblick zögert Thomas, dann verlässt er das Haus, seine Frau und seine Kinder. Mit einem erstaunten Lächeln geht er einfach weiter und verschwindet. Astrid, seine Frau, fragt sich zunächst, wohin er gegangen ist, dann, wann er wiederkommt, schließlich, ob er noch lebt.
Jeder kennt ihn: den Wunsch zu fliehen, den Gedanken, das alte Leben abzulegen, ein anderer sein zu können, vielleicht man selbst."(Klappentext)


Wieder und immer wieder schafft Peter Stamm es, den Leser in seinen Bann zu ziehen; und obwohl ich ein Fan von schöner Sprache bin, mag ich eben gerade das so sehr an Peter Stamms Schreibstil: das einfache, sachliche, fast schon banale. Denn genau das ist es, was die Geschichte(n) ausmacht.
In Weit über das Land  - und einem melancholischen, fast schon unerbittlichen Unterton - trifft er den Nerv der heutigen Gesellschaft, denn wer hat sich nicht selbst schon mal überlegt, einfach loszulaufen? Nichts planen, nichts sagen, alle Verpflichtungen zurücklassen und - gehen. Denn genau das tut Thomas; er geht und lässt Frau, Kinder und Haus zurück, um bei Nacht über Stock und Stein, durch Wälder und fremde Landschaften zu streifen.
Astrid - seine Frau - sitzt derweilen zuhause und sucht nach vernünftigen Ausreden; für das Büro, die Familie, die Kinder - und nicht zuletzt für sich selbst; der Schein muss schliesslich aufrecht erhalten werden!
Was in diesem Buch er- oder abschreckend wirken mag, ist die Tatsache, dass aufgrund Peter Stamms Schreibstil keinerlei Verzweiflung aufkommt, eher Lethargie. Man weiss, er - Thomas - ist weg und Frau und Kinder warten zuhause; ist nun mal so. Aber gerade dadurch, dass alles so sachlich scheint, wird nichts als richtig oder falsch dargestellt; ist es falsch, was Thomas gemacht hat? Reagiert Astrid richtig?
Ich kann es nicht anders ausdrücken, als zu sagen: Peter Stamm hat - mal wieder - ein Meisterwerk vollbracht. Danke dafür!

Lisa Owens: Abwesenheitsnotiz
"Wer will ich sein, wenn ich sein kann, wer ich will?

Wenn Claire Flannery eines weiß, dann, dass sie für ihr Glück alleine verantwortlich ist. Claire ist Mitte zwanzig, lebt in London und hat einen Freund, der ziemlich viel arbeitet. Claire selbst hat sich gerade ausgeklinkt, ihren Job gekündigt. Weil der nicht zu ihr gepasst hat. Aber: Was passt eigentlich so richtig zu ihr? »Ich erinnere mich noch gut daran, wie es in deinem Alter war. Klar, ich hatte da schon vier Kinder, aber das moderne Leben ist anders, du hast so viele Möglichkeiten", sagt die Großmutter und trifft den Nagel auf den Kopf. So treibt Claire durch die Stadt, mal mit, mal gegen den Strom, und beobachtet, was anderen Leuten verborgen bleibt – die arbeiten ja gerade. Ob das auf Dauer gut geht?" 

Ich möchte zu dem Buch gar nicht so viel sagen, ausser: Grossartige Literatur über den ganz normalen Wahnsinn des Lebens mit viel Situationskomik und britischem Humor; eine herzallerliebste Protagonistin und ihr verständnisvoller Freund, eine schnippische Mutter, eine freche Grossmutter, der gutmütige Vater und viele kleine Beobachtungen aus dem Alltag. Einfach wunderbar und definitiv mein Lieblingsdebüt in diesem Frühjahr!
(Ich hatte nach dieser Lektüre richtig grosse Probleme, mich auf etwas anderes einzulassen...)

Mittwoch, 20. April 2016

Was ich dir wünsche

Du hast mal gesagt:
"Du hast auch die Angewohnheit, immer das Schlechte zu sehen."
 
Ich habe noch mehr geweint und
nicht geantwortet,
dass
du mich nicht mehr ernst genommen hast,
wenn ich dir den Mond gezeigt oder
auf eine Stelle im Nachthimmel gedeutet habe,
weil da vor wenigen Augenblicken noch eine Sternschnuppe zu sehen war
Aber weisst du denn nicht,
dass
If people sat outside
and looked at the stars each night, I’ll bet they’d live a lot differently.
When you look into infinity, you realize that there are more important things
than what people do all day. (Calvin and Hobbes)

Ich hoffe sehr für dich,
dass du heute manchmal in der Nacht noch draussen bist
und dir die Sterne anschaust
oder die Regentropfen zählst,
die vom Himmel auf das Dach auf das Blatt auf die Erde fallen
oder den Seifenblasen nachschaust,
die die kleinen Kinder am Bahnhofsplatz in den Himmel pusten
oder dich in den Rasen legst und
über die Grashalme hinwegschaust
oder nach einer regnerischen Nacht morgens durch den Wald spazierst
und die feuchte Erde riechst
oder du manchmal den Globus drehst und ihn blind mit dem Zeigefinger stoppst,
um dann herauszufinden, was dieses eine Land da so zu bieten hat
oder einfach mal zur Ruhe kommen kannst
in und mit dir selbst
und annehmen kannst, was man dir gibt
und geben kannst, was du eigentlich in dir trägst

Denn das,
das ist so wichtig

Samstag, 9. April 2016

Mut zum Loslassen

Alles, was ich ihm gegeben habe, kam nie zurück.
Ich will nichts mehr schön reden; das habe ich lange genug.
Und nach zweieinhalb Jahren und vielen einsamen Nächten, die ich neben ihm verbracht habe; Aufmerksamkeiten, die nie von Bedeutung zu sein schienen; Berührungen, die nicht und nie erwidert wurden; ein erzählendes Gesicht, das verstummte und einer, der nicht mehr zuhören mochte; nach all dem, habe ich - losgelassen.

In den letzten Wochen - vielleicht sogar Monaten - habe ich ihn nicht mehr (nur) aus Liebe gehalten, sondern vor allem mich aus Angst an ihm festgehalten, mich festgeklammert. Weil ich nicht loslassen  wollte.
Noch anfangs März war ich bei einer Freundin in Bern und habe ihr bei Bier und Zigarette gesagt: "Ich glaube, dass ich jetzt stark genug bin/wäre, um das zu beenden, wenn ich sehe, dass es sich nicht mehr lohnt." Um dies zu sagen, musste ich erst sehr viel über mich selbst lernen, aber ich habe es geschafft. Und mit Hilfe neuer Bekanntschaften, Zeilen aus Büchern, die mir so zugeflogen kamen und passenden Songlyrics konnte ich den Schritt dann auch endlich wagen.
Ich sage nicht, zweieinhalb Jahre für nichts! Das ist nicht wahr. 
Wir hatten eine schöne Zeit, und ich glaube, dass wir beide etwas voneinander lernen konnten.
Ich bereue diese zweieinhalb Jahre auch nicht; was ich vielleicht bereue ist die Tatsache, dass ich es so lange durchgezogen und vor allem auf die Beziehung anstatt auf mich selbst geschaut habe.

Und jetzt?
Es mag schlimm klingen - in meinem Alter sind zwei Jahre und mehr dann doch eine ganz lange Zeit -, aber es geht mir in den letzten zwei Wochen besser als es mir in den letzten zwei Jahren gegangen ist.
Ich fühle mich sehr erleichtert und befreit.

Wer Leben ins Leben bringen will,
muss das Festhalten-Wollen aufgeben.

(Ernst Ferstl)

Die Arbeit in der Buchhandlung macht mir noch immer viel Freude; man vertraut auf mich und gibt mir Verantwortung, es sind viele liebe Leute, bei denen ich weiss, dass ich mich in allen Lebenssituationen an sie wenden kann und die für mich da sind. Und auch einfach, weil ich meinen Beruf sehr mag, weil Bücher empfehlen und die Kundengespräche für mich etwas vom Wertvollsten sind und ich auch nach fast vier Jahren immer noch mit Freude zur Arbeit gehe.
Das Einzige, was in den letzten Monaten - betreffend Arbeit - ein bisschen auf's Gemüt geschlagen hat, war der tägliche Arbeitsweg von vier Stunden; morgens kurz nach sechs Uhr aus dem Haus und abends zwischen halb neun und halb zehn zuhause. Auf Dauer hätte ich das wohl nicht mehr länger mitgemacht, ABER:
Erst gestern habe ich den Mietvertrag für eine schöne, gemütliche Dachwohnung in Liestal unterschrieben. Drei Zimmer für mich, in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs und meiner Stammbeiz dem Fass (fast schon zweiter Wohnsitz geworden unterdessen); das spart mir täglich zwei Stunden Weg - ich kann mich also wirklich nicht beklagen!

Kurzum: Es geht mir gut!
Ich habe mir auch fest vorgenommen, in nächster Zeit wieder öfter was zu posten; Buchbesprechungen oder so. 
Aber jetzt erstmal: Danke für's Lesen und ich hoffe sehr, dass ihr noch ein bisschen bei mir bleibt.